In der aktuellen COVID-Krise haben wir uns an die gängigen Argumente schon längst gewöhnt. Viele der Reaktionen derer, die sich gegen Massnahmen zur Eindämmung des Virus aussprechen, wären in anderem Kontext aber völlig unakzeptabel. Sie würden zu Entschuldigungen und Rücktritten führen. Aber nicht bei COVID.
Zur Illustration: Stellen wir uns mal vor, in den letzten zwei Wochen wären sieben Schweizer Flugzeuge abgestürzt. Über 800 Menschen sind dabei gestorben, Hunderte weitere liegen in den Spitälern, teilweise mit lebensgefährlichen Verletzungen auf den Intensivstationen. Unter denen, die das Spital eines Tages werden verlassen können, werden viele noch jahrelang unter den gesundheitlichen Folgen leiden.
Nehmen wir weiter an, dass auch viele betroffen sind, die selbst gar nicht geflogen sind. Sondern nur dummerweise beim Absturz zur falschen Zeit am falschen Ort waren.
Aviatik-Experten erwarten, dass es zu weiteren Abstürzen kommen wird, vielleicht sogar häufiger. Es gibt Diskussionen, Massnahmen zu ergreifen, um zukünftige Abstürze zu verhindern. Stellen wir uns auch vor, dass diese Massnahmen von uns allen ein bisschen etwas abverlangen und wirtschaftliche Aktivität einschränken. Hier hinkt der Vergleich zugegebenermassen etwas; ich bitte Sie, meinen Mangel an Kreativität zu verzeihen.
Und nun stellen wir uns weiter vor, dass sich viele gegen solche Massnahmen wehren. Mit folgenden Reaktionen:
- “Wie alt waren die Passagiere denn? Wären die nicht sowieso bald gestorben? Hatten sie andere Krankheiten? Dann sind sie mehr mit Flugzeugabsturz gestorben als an Flugzeugabsturz.”
- “Wir müssen lernen, mit Flugzeugabstürzen zu leben.”
- “Die Spitäler sind ja noch gar nicht voll. Wir können noch mehr Abstürze verkraften.”
- “Müsste man für das ganze Bild nicht auch alle aufzählen, die geflogen sind und nicht abgestürzt? Das sind Tausende ohne grosse Probleme.”
- “Wir können es uns finanziell nicht leisten, diese Abstürze zu verhindern.”
- “Vor fünf Jahren gab es einen Erdrutsch. Da sind auch viele gestorben.”
- “Wenn wir nichts tun, hören die Flugzeugabstürze dann irgendwann schon auf. Vielleicht mit dem wärmeren Wetter.”
- “Bitte nicht grad wieder brüllen. Vielleicht brauchen wir vor allem viel mehr Demut gegenüber dem Fliegen. Vielleicht ist einfach gar niemand schuld, weder für viele noch für wenige Abstürze.”
- “Dieser Doppelmeter zeigt die Schweizer Bevölkerung hunderttausendmal kleiner. 8.5 Millionen Schweizer sind 85 Zentimeter. Jetzt schaut Euch das mal an. Die 800 Toten sind ein Haar hier vorne, das kann ich gar nicht zeigen. Seid Ihr eigentlich noch normal?”
Jede dieser Reaktionen wäre absurd. Weshalb lassen wir sie im Falle von Corona zu?
Wie gesagt, der Vergleich hinkt etwas. Flugzeugabstürze sind weder ansteckend noch nehmen sie exponentiell zu. Und der Barbesuch des Enkels verursacht auch nicht den Flugzeugabsturz der Grosseltern. Das Virus ist daher noch viel heimtückischer und gefährlicher als die Flugzeugabstürze.
Die Gleichgültigkeit gegenüber menschlichem Leid gäbe es bei den Flugzeugabstürzen aber weniger. Woran liegt das?