Fünf Antworten, die uns der Bundesrat nicht länger vorenthalten kann

Opa Köbi
10 min readMar 8, 2021
Der Ansatz von “nichts hören, nichts sehen und nichts sagen” ist gerade während einer Pandemie fehl am Platz. Der Bundesrat schuldet uns Antworten auf zentrale Fragen.

Leider werden in der Schweiz einige entscheidende Themen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie von offizieller Seite totgeschwiegen. Es ist höchste Zeit für mehr Transparenz. Insbesondere der Bundesrat sollte ehrlich sein mit der Bevölkerung.

Hier sind fünf zentrale Fragen (oder genauer: Gruppen von Fragen), die bisher entweder gar nicht aufgebracht oder nicht in zufriedenstellender Weise beantwortet wurden.

Es ist allerhöchste Zeit für den Bundesrat, hier endlich klare Antworten zu liefern. Und “Müssen Sie wissen, dann müssen wir sehen, wie wir schauen.” ist keine ernstzunehmende Antwort.

1) Welche Ziele verfolgt der Bundesrat in der Pandemiebewältigung und wie werden diese gewichtet respektive priorisiert?

Es ist weiterhin völlig unklar, welche Strategie der Bundesrat verfolgt. Die Aussagen, die zu Zielen gemacht wurden, passen nicht mit der Realität der Handlungen der Regierung zusammen.

Im letzten Sommer wollte der Bundesrat möglichst schnell möglichst viel öffnen. Im Herbst ging es um die Verhinderung eines zweiten Lockdowns, denn den könnten wir uns gar nicht leisten. Im November wurde eine Halbierung der Fallzahlen alle zwei Wochen ins Auge gefasst. Im Dezember behaupteten mehrere Bundesräte in Interviews, die Gesundheit der Bevölkerung hätte stets oberste Priorität genossen. Schon damals war offensichtlich, dass dem nicht so sein kann.

Noch Ende Januar sprachen BAG-Verantwortliche von einem Ziel von 300 Fällen pro Tag, welches man erreichen wollte. Dieses Ziel scheint auch längst aufgegeben, wenn es denn überhaupt jemals ernsthaft angepeilt worden war.

Nun wagt man schrittweise Öffnungen. Welche Ziele werden damit verfolgt? Es bleibt alles unklar.

Wenn der Bundesrat und die Vertreter diverser Interessengruppen ehrlich wären, könnten wir eine konstruktive Debatte führen zu sinnvollen Zielen. Lohnt es sich, Fallzahlen schnell und deutlich zu senken? Oder wäre es besser, die Bevölkerung möglichst effizient zu durchseuchen, ohne dabei die Spitäler zu überlasten? Was wären die zu erwartenden Konsequenzen dieser Ansätze?

Wer eine Strategie der Durchseuchung verfolgt, aber dies nicht offen ausspricht, wird wohl Gründe für sein Schweigen haben. Vielleicht befürchtet er, dass diese Wahl einst schwer zu verteidigen sein wird, wenn ihre Auswirkungen für alle sichtbar werden. Dann wird man besser dastehen, wenn man behaupten kann, man sei von den Entwicklungen überrascht worden und hätte die so nicht erwartet. Zudem sei Durchseuchung nie das Ziel gewesen, das sei unabsichtlich geschehen, weil man das Virus unterschätzt habe. “Es sah lange gut aus.”

Weshalb würde man also stillschweigend eine Durchseuchungs-Strategie vorantreiben, wenn man damit rechnet, dass sie rückblickend keine Zustimmung finden wird? Das ergibt nur Sinn, wenn man der Überzeugung ist, dass sie für bestimmte Partikularinteressen trotzdem von Vorteil ist, selbst wenn die Bevölkerung insgesamt leidet. Ist das die Logik, die das Schweizer Vorgehen erklärt?

Damit wir hier nicht das Schlimmste vermuten müssen, wäre es sehr hilfreich, wenn der Bundesrat Ziele für alle klarstellen würde. Und dann auch entsprechend handeln.

2) Welche Schritte gedenkt der Bundesrat zu unternehmen, falls Fallzahlen wieder deutlich ansteigen? Was sind Schwellenwerte? Welche Massnahmen folgen? Und was, wenn neue, noch gefährlichere Varianten in der Schweiz Fuss fassen?

Bundesrat Berset weigerte sich an der letzten Pressekonferenz erneut, über Szenarien oder die Zukunft nachzudenken. Fragen zu einer möglicherweise bevorstehenden dritten Welle beantwortete er mit “Wir müssen unbedingt wirklich die Situation anschauen. […] Wenn es sich verschlechtern sollte, müssen wir das unbedingt mal anschauen und sehen, wie es vernünftig wäre, damit zu reagieren.”.

Das ist inakzeptabel. Es gehört zu den Aufgaben eines Ministers, sich mit Szenarien auseinanderzusetzen und vorauszuschauen. “Gouverner, c’est prévoir!”, wie eine Leserin auf Twitter kommentierte. Oder im vollständigen Zitat der Version des französischen Journalisten, Verlegers und Politikers Émile de Girardin (aus dem Jahre 1849): “Gouverner, c’est prévoir. Ne rien prévoir, ce n’est pas gouverner, c’est courir à sa perte.”

Gerade in einer Pandemie ist es unerlässlich vorauszuschauen. Entscheidungen um mehrere Wochen zu verzögern aufgrund von Vernehmlassungen mit den Kantonen, das können wir uns schlicht nicht leisten, wenn ein Virus sich exponentiell verbreitet.

Das Verhalten des Virus lässt sich gut berechnen. Szenarien kann man sich auch leicht ausdenken. Wir können schlicht verschiedene R-Werte annehmen und dann Entwicklungen über die kommenden Wochen aufzeigen. Für drei oder vier solche Entwicklungen könnte man sich dann überlegen, was man machen würde, falls die Realität sich tatsächlich in diese Richtung bewegt. Und darauf kann man sich bereits Wochen im Voraus einigen. Und dann umgehend wie vereinbart handeln, wenn es soweit ist.

Kommuniziert man diese Szenarien und die geplanten Schritte, so schafft das auch Verständnis und mehr Planungssicherheit für die Bevölkerung und die Wirtschaft. Man hat ein gemeinsames Ziel vor Augen. Und wenn neue Massnahmen nötig werden, muss niemand überrascht sein.

Die neuen Varianten aus Südafrika und Brasilien sind deutlich aggressiver als der Wildtyp und auch als die Mutante B.1.1.7, die in der Schweiz bereits eine Mehrheit der neuen Fälle ausmacht. Es ist zu befürchten, dass beide Varianten sich auch vermehrt in der Schweiz ausbreiten werden. Man sollte sich bereits heute Strategien überlegen, um diese Varianten einzudämmen. Gelingt uns dies nämlich nicht, so erwarten uns weitere Wellen, die auch bereits Infizierte und Geimpfte betreffen können.

Vorbereitungen für eine eventuelle stärkere Ausbreitung der Varianten B.1.351 und P.1 sind in jedem Fall sinnvoll. Wir können diese Arbeit als Planung für irgendeine zukünftige Pandemie (oder weitere Coronavirus-Mutanten) sehen. Und von denen wird es leider vermutlich noch mehr geben. Bis zum nächsten Mal sollten wir genug gelernt und uns ausreichend vorbereitet haben, so dass uns weder mangelnde Maskenvorräte noch Digitalisierungsschwierigkeiten bei der Kontaktverfolgung ins Hintertreffen bringen.

3) Was wird der Bundesrat unternehmen, um die Impfgeschwindigkeit deutlich zu erhöhen und sicherzustellen, dass alle, die geimpft werden möchten, dies so bald wie möglich tun können?

Bundesrat Berset und das BAG behaupten weiterhin, alle Impfwilligen könnten bis Ende Juni zwei Dosen eines Impfstoffs erhalten. Die meisten Kantone zweifeln an diesem Zeitplan. Basel-Land, Graubünden, Luzern, Solothurn und Zug nennen September oder Oktober als Zeitpunkt, bis zu dem alle geimpft sein würden. Nur Appenzell Innerrhoden, Genf und Tessin halten Ende Juni für realistisch. 16 Kantone wagen überhaupt keine Prognose.

Unrealistische Versprechungen helfen leider wenig. Der Bundesrat und die Kantone sollten ihre Planung besser erklären, um Vertrauen zu schaffen. Die Lieferungen der Impfstoffe sind weiterhin mit Unsicherheit behaftet und könnten sich verzögern. Umso wichtiger ist es, dass Impfdosen, wenn sie eines Tages tatsächlich ankommen, effizient und schnell verteilt und verabreicht werden können. Dazu sollten wir heute schon alles vorbereiten, was möglich ist. Und lieber zu viel als zu wenig Infrastruktur aufbauen, damit wir dann nicht überrumpelt werden, sollten plötzlich mehr Impfdosen als erwartet zur Verfügung stehen. Investitionen hier rechnen sich doppelt und dreifach.

Unglücklicherweise können beispielsweise im Kanton Zürich selbst Personen ab 75 Jahren nicht einmal Interesse an einer Impfung bekunden. “Leider ist im Moment aufgrund der beschränkten Impfstoffmenge und Lieferverzögerungen keine Anmeldung für die Corona-Impfung möglich.”, liest man auf der Website des Corona-Zentrums der Universität Zürich. “Wir empfehlen Ihnen regelmässig die Homepage der Gesundheitsdirektion zu konsultieren.”

Dies ist sehr schwer zu verstehen. Eine Lieferverzögerung beim Impfstoff hält den Kanton doch nicht davon ab, bereits Anmeldungen entgegenzunehmen und anschliessend Personen auf der Warteliste aktiv zu informieren, sobald Impfungen für sie bereit sind.

Der Kanton Bern macht das besser. Dort können sich alle, für die eine Impfung in Frage kommt, bereits seit Wochen anmelden und werden dann kryptischen Impfgruppen zugeordnet. Wenigstens das.

In mehreren weiteren Kantonen können sich ebenfalls bereits alle anmelden. Das hilft auch mit der Planung. Anstatt gelieferte Dosen nach einem fixen Schlüssel den Kantonen zuzuteilen, könnte man dies entsprechend Nachfrage machen. Um zu verhindern, dass Impfdosen im einen Kanton liegenbleiben, während im anderen Impfwillige warten müssen.

Es gibt keine zulässigen Ausreden, weshalb sich nicht alle in der Schweiz auf eine Warteliste setzen lassen können sollten. Bis wann werden Bundesrat und Kantone dies sicherstellen? Diese Arbeit hätte man im Frühling 2020 beginnen können, vor zehn Monaten. Dass eine simple Anmeldung und eine Warteliste weiterhin IT-Schwierigkeiten bereiten, ist mehr als peinlich.

4) Was geschieht an den Schulen? Kann der Bundesrat Zahlen zu Schulausbrüchen zur Verfügung stellen? Und erklären, wie er plant, Schulen sicher zu machen und Kinder, Lehrpersonen, Eltern und Angehörige zu schützen?

Seit Monaten wird entweder gar nicht über die Rolle von Schulen und Kindern gesprochen oder das Mantra “Kinder sind nicht Treiber der Pandemie.” wiederholt. Dass Kinder durchaus andere Kinder anstecken, sollte unterdessen aber mehr als klar sein. Das zeigen nicht nur Erfahrungen und Studien aus dem Ausland, sondern in der Schweiz auch die von Eltern gesammelten Daten zu Schulausbrüchen und dieser Beitrag der Rundschau:

Der deutsche Virologe Christian Drosten — der bisher mit seinen Erwartungen häufig beeindruckend richtig lag und sich damit den Übernamen “Drostradamus” verdient hat — erklärte im NDR-Coronavirus-Podcast vom 2. Februar zum Thema “keine Treiber der Pandemie” Folgendes: “Diese Sprechweise hat sicherlich an einigen Stellen verhindert, dass die Dringlichkeit des Problems wahrgenommen wurde und man das Ganze wirklich lösungsorientiert angefasst hätte.” Und er riet, “Dass man sich mal von dieser blöden Idee verabschiedet, dass irgendeine Gruppe der spezielle Treiber des Geschehens ist. Dass es aber im Umkehrschluss nicht bedeutet, wenn jemand nicht der Treiber ist, dass der dann auch keine Relevanz hat. Wir leisten alle den gleichen Beitrag zu diesem Problem.”.

In der Schweiz wird leider weiterhin kaum ins Ausland geschaut. Stattdessen wird immer wieder die Studie “Ciao Corona” der Universität Zürich zitiert. Sie machte Aussagen wie “In keiner Schule zeigte sich eine Häufung von Infektionen über alle Klassen und Stufen hinweg.” oder “Schulen sind nicht der primäre Ansteckungsort.”.

Man achte auf die sorgfältigen Formulierungen. Es wird nicht gesagt, Kinder würden andere Kinder nicht anstecken. Es wird auch nicht behauptet, es gäbe keine Ausbrüche an Schulen. Die Latte wird hier sehr hoch gesetzt, “alle Klassen und Stufen”, “der primäre Ansteckungsort”. Man kriegt das Gefühl, die Autoren verfolgten ein politisches Ziel: Präsenzunterricht an Schulen beizubehalten. Dazu galt es, das Ansteckungsrisiko zu verharmlosen. Ihre Aussagen sind streng genommen korrekt, aber sie vermitteln den falschen Eindruck, Schulen leisteten keinen relevanten Beitrag zur Virusverbreitung.

Problematisch dabei ist, dass Daten von Juni bis Mitte Oktober 2020 als Grundlage dieser Schlussfolgerungen dienten. Während dieses Zeitraums gab es in der Schweiz etwa 40'000 bestätigte Fälle in der Gesamtbevölkerung. Im ungefähr gleich langen Zeitraum von Mitte Oktober bis heute waren es fast 500'000. Die Studie fand während einer Periode tiefer Inzidenz statt, sie ignorierte die zweite Welle. Ihre Aussagen sind daher für die heutige Situation kaum relevant.

Das veranschaulicht auch diese Graphik des Tages-Anzeigers:

Anzahl Corona-Tests und Anteil der positiven Resultate bei Kindern im Kanton Zürich. Die Studie “Ciao Corona” schaute sich Daten bis Mitte Oktober an. Was fällt auf? (Quelle)

Bestätigte Fälle an Schulen nehmen genau ab dem Zeitpunkt signifikant zu, an welchem die Betrachtung von “Ciao Corona” endet.

Ausbrüche an Schulen kommen trotz ihrer steigenden Zahl weiterhin überraschend und stellen oft ein “Rätsel” dar für zuständige Behörden. Als beispielsweise Anfang Februar an einer Könizer Schule 23 positive Fälle auftraten (11 davon in derselben Klasse), bezeichneten sowohl der Gemeinderat als auch die kantonale Gesundheitsdirektion diese Häufung als “rätselhaft”. “Im Schulhaus Buchsee gilt das gleiche strenge Schutzkonzept wie an allen anderen Schulen.”, erklärte ein Gemeinderat. Masken hätten die Kinder allerdings nicht getragen. Es sollte unterdessen mehr als offensichtlich sein, dass diese “Schutzkonzepte” keinen Schutz bieten.

Es ist höchste Zeit, über die Schulen zu sprechen. Kantone und Bund sollten Zahlen zu Fällen an Schulen offenlegen. Kinder, Eltern und Lehrpersonen haben Anspruch auf diese Informationen. Ich erhalte Zuschriften von Lehrerinnen und Lehrern, denen von Schulleitungen verboten wird, Eltern über kranke Kinder in ihrer Klasse zu informieren. Und ich höre von Eltern, die ihr Kind testen lassen wollten, aber das aufgrund von Vorgaben von Kantonsärzten nicht durften. Wurden die Regeln mit dem Ziel gestaltet, Kinder möglichst aus den Fallstatistiken rauszuhalten?

Wer Zahlen von Ansteckungen an Schulen zu verstecken versucht, weil sie befürchtet, Präsenzunterricht könnte nicht fortgeführt werden, wenn diese Daten bekannt wären, gibt damit zu, dass die eigenen Entscheidungen schwer zu rechtfertigen sind. Ja, Bildung ist wichtig und Präsenzunterricht ermöglicht eine bessere Qualität der Ausbildung als Fernunterricht, gerade bei jüngeren Schülern. Aber wollen wir dafür wirklich die Gesundheit von Kindern, Eltern, Lehrpersonen und Angehörigen aufs Spiel setzen? Und damit auch den langfristigen Lernerfolg der Kinder?

Zudem verlängern wir mit Präsenzunterricht die Shutdown-Massnahmen. Die Schulen halten das Virus im Umlauf, denn kaum sonst wo kommen noch Mitglieder zahlreicher Haushalte für mehrere Stunden in Innenräumen zusammen. Mit wenigen Wochen Fernunterricht hätten wir Fallzahlen schneller senken können. Und bald könnte das nötig werden, um den erneuten Anstieg der Fallzahlen zu bremsen.

Mit einer besseren Datenlage wäre es auch einfacher, den Unterricht sicherer zu gestalten. Dazu gehören neue Modelle wie Hybridunterricht oder Massnahmen vor Ort wie die Installation von Luftfiltern. Zudem könnten wir Teststrategien verfeinern. Konzepte für sichere Schulen und neue Unterrichtsmodelle hätten wir schon seit Monaten entwickeln sollen. Wir müssen nun — besser spät als nie — dieses Thema auf nationaler Ebene ernst nehmen. Die No-Covid-Gruppe aus Deutschland liefert dazu einige Ideen.

Der Bundesrat sollte mithelfen, diese Diskussionen voranzutreiben anstatt sie abzuwürgen.

5) Wie plant der Bundesrat weitere Fälle von Long COVID zu verhindern? Und was unternimmt er, um den bereits Betroffenen zu helfen?

Es zeigt sich schon länger, dass viele nach anfänglichem Überstehen einer Coronavirus-Infektion noch monatelang an Langzeitfolgen leiden. Internationale Studien schätzen, dass abhängig von den genauen Definitionen dieses “Long COVID” 10–30% der Infizierten Wochen oder Monate später noch an mindestens einem Symptom leiden. Zu diesen Symptomen gehören Müdigkeit, Schwindel, Atemnot, Schwierigkeiten mit Gedächtnis und Konzentration (“Gehirnnebel”), Schlafstörungen, wiederkehrendes Fieber, Magen-Darm-Beschwerden, anhaltender Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn, Angstzustände und Depression.

Am 23. Februar kündigten die National Institutes of Health der Vereinigten Staaten an, dass sie über die nächsten vier Jahre mehr als eine Milliarde Dollar investieren, um Long COVID zu untersuchen. Dazu beobachten sie unter anderem, wie sich mindestens 40'000 Erwachsene und Kinder aller Altersstufen nach einer Coronavirus-Infektion erholen. Ein weiteres Projekt versucht den Effekt von SARS-CoV-2 auf verschiedene Organe durch Beobachtungen aus Obduktionen zu ergründen. Bisher wissen wir beispielsweise, dass Lungengewebe zerstört werden kann.

Andere Länder investieren auch bereits in Forschung zu Long COVID, darunter Grossbritannien, Kanada und Südafrika.

In der Schweiz beginnen wir dagegen erst gerade, die Existenz von Langzeitfolgen überhaupt zu erwähnen. Wieder einmal hinken wir dem Rest der Welt einige Monate hinterher, obwohl sich das Virus bei uns genau gleich verhält wie überall sonst auch.

Der Bundesrat sollte sich ernsthaft mit dem Thema Long COVID beschäftigen. Als Allererstes könnte er den Betroffenen zeigen, dass sie nicht alleine sind und ihr Leiden Beachtung findet. Zweitens kann er helfen, eine verlässliche Datengrundlage zu schaffen, indem Langzeitfolgen systematisch erfasst und gemeldet werden. Drittens kann er Forschungsmittel bereitstellen, um Long COVID auch in der Schweiz zu untersuchen.

Viertens sollte er bei der Gestaltung von Massnahmen nicht nur Spitalauslastung und Todesfälle im Auge haben, sondern auch die Vermeidung von Langzeitfolgen anstreben. Fünftens muss er sich um Behandlungsangebote für bereits Betroffene kümmern. Vielleicht brauchen wir spezialisierte Kliniken, wie die in anderen Ländern bereits aufgebaut werden. Und sechstens verdient auch die Finanzierung dieser Behandlungen Aufmerksamkeit, insbesondere ihre Auswirkungen auf Krankenkassen und Invalidenversicherung.

Die fünf genannten Themengebiete verdienen mehr Beachtung. Auch in der öffentlichen Debatte.

Anstatt über Restaurant-Terrassen und Maulkörbe zu streiten, brauchen wir einen konstruktiven Austausch, um diese gewaltigen Herausforderungen zu meistern. Dazu müssen wir die Lage lückenlos verstehen; verfügbare Daten gehören auf den Tisch. Wir müssen ehrlich sein miteinander und Strategien sowie deren erwartete Konsequenzen diskutieren. Wir müssen vorausschauen und in Szenarien denken. Und frühzeitig planen für Eventualitäten anstatt untätig abzuwarten, bis es schon zu spät ist.

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Opa Köbi

Ich mach mir halt so meine Gedanken. Aktuell zu COVID-19 und den Reaktionen insbesondere in der Schweiz. https://twitter.com/OpaKoebi