Was können wir das nächste Mal besser machen?

Opa Köbi
12 min readJul 12, 2021
Ruinieren wir uns den Sommer mit einer weiteren Corona-Welle?

Die Pandemie hat sich in den letzten Monaten in der Schweiz (und in ganz Europa) deutlich erfreulicher entwickelt als erwartet. Eine derartige Senkung der Fallzahlen hatte weder die Wissenschaft noch der Bundesrat erwartet. Wäre der Bundesrat nämlich zuversichtlich gewesen, dass Fallzahlen sinken werden, so hätte er Grenzwerte für Verschärfungen nicht deutlich hochsetzen müssen. Es sieht aus, als hätte er mehr Glück als Verstand gehabt.

Wer für einige Wochen eigene Prognosen feiern konnte, sind die Vertreter der Saisonalitäts-Theorie. Ansteckungen seien alleine von den saisonalen Klimabedingungen getrieben, Massnahmen hätte überhaupt keine Wirkung, behaupten sie. Dass es so einfach nicht sein kann, zeigt ein Blick auf die internationale Situation und das Auf und Ab von Fallzahlen in Ländern, die wiederholt Massnahmen gelockert und wieder verschärft haben.

Aktuell nehmen Infektionen auch in einigen Ländern wieder deutlich zu und das trotz des Sommers. Dazu gehören Grossbritannien, aber auch Portugal und Spanien. In den Niederlanden ist die Trendwende besonders beeindruckend. Und auch in der Schweiz steigen die Fallzahlen auf tiefem Niveau wieder stark an. Es kann also nicht nur an der Saisonalität liegen. Die Lockerungen von Massnahmen sowie die zunehmende Verbreitung der Delta-Variante werden massgebende Faktoren sein.

Tägliche Fallzahlen steigen in einigen europäischen Ländern wieder deutlich an. Trotz Sommer und Impfungen.

Die erfolgten Lockerungen sind nicht völlig abwegig. Doch hätten wir einige wenig einschneidende Massnahmen konsequenter beibehalten sollen. Beispielsweise die Kontaktverfolgung. Anstatt sie zurückzufahren, hätten wir sie intensivieren sollen. Bei hundert Fällen am Tag hätten wir Kapazitäten haben sollen, um jeden einzelnen Fall ganz genau zu durchleuchten und weitere Ansteckungen durch Isolation und Quarantäne zu unterbinden. Auch bei Veranstaltungen in Innenräumen wäre ich vorsichtiger geblieben. Und Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr sowie in Geschäften würde ich auch noch beibehalten.

Eine erneute Verschärfung von Massnahmen scheint jedoch unwahrscheinlich — ausser unser Gesundheitssystem kommt wieder an seine Grenzen. Der Bundesrat scheint entschieden zu haben, dass die Zeit der Einschränkungen endgültig vorbei ist. Dank der Impfungen sei das Coronavirus nun weniger gefährlich, wird immer wieder behauptet. Während das statistisch gesehen zwar richtig ist, wurde eine Ansteckung für Ungeimpfte nicht harmloser — im Gegenteil. Und mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist noch nicht geimpft. Während noch vor wenigen Wochen Impftermine ein knappes Gut waren, leidet der Impffortschritt nun vor allem an mangelnder Impfbereitschaft. Kein Wunder, wurde die Pandemie doch für beendet erklärt.

Die Pandemie wird so schnell aber nicht vorbei sein. Delta wird vermutlich nicht die letzte “Variant of Concern” sein, schliesslich wütet SARS-CoV-2 noch in zahlreichen Teilen der Welt ungehindert durch Impfungen. Neue Mutanten werden früher oder später auch ihren Weg in die Schweiz finden. Und während “Wer sich nicht impfen lässt, ist halt selber schuld.” bei Erwachsenen eine gewisse Berechtigung hat, ignoriert es die Tatsache, dass Kinder sich noch gar nicht impfen lassen können. Zudem schützen Impfungen nicht zu 100% und gerade bei neueren Varianten scheint die Impfwirkung deutlich reduziert zu sein. So steigen nun die Fallzahlen auch bereits wieder bei Impfpionier Israel.

Was würden wir rückblickend anders machen?

Bundesrat und BAG scheinen trotzdem unbesorgt. Selbst bei einem signifikanten Anstieg der Fälle über die nächsten Wochen erwarte ich, dass wir vor allem Einschätzungen in folgendem Stil hören werden: “Der Schweizer Weg hat sich bewährt. Wir konnten eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindern und hatten weniger Einschränkungen als Deutschland.”

Die Anreize in Politik und Psychologie sind darauf ausgerichtet, eine Strategie des Schulterklopfens zu verfolgen. Schliesslich gesteht niemand gerne Fehler ein, verantwortlich gemacht werden möchte man noch viel weniger und dem Selbstbildnis der Schweiz tut es auch nicht gut, wenn wir nicht erfolgreich waren.

Damit das Schulterklopfen aber begründet werden kann, muss man die Vergleichsbasis sehr sorgfältig auswählen und beachtliche Teile des Globus ausblenden. Politik und Medien zeigen seit Monaten immer wieder auf, wie man das macht:

Dass die Ansätze in Asien und Ozeanien viel erfolgreicher waren als unserer (und der des Westens generell) und Eliminationsstrategien auf allen Dimensionen viel bessere Resultate erzielten als Eindämmungsstrategien, ist unterdessen glasklar.

Länder, die eine Eliminierungsstrategie verfolgten, hatten deutlich weniger Tote, ihre Wirtschaft war weniger stark betroffen und erholte sich schneller — und Massnahmen waren ebenfalls meist milder (Quelle).

Wir müssen uns eingestehen, dass es auch der Schweiz deutlich besser ergangen wäre — gesundheitlich, wirtschaftlich, gesellschaftlich, psychologisch, etc. — wenn wir früher und entschiedener gehandelt hätten. Falls Sie dem widersprechen, so erlauben Sie mir ein Gedankenexperiment:

Stellen Sie sich vor, wir könnten heute eine Zeitreisende zurückschicken in den Sommer 2020, damit sie den Bundesrat mit heutigem Wissen beraten kann. Was sollte sie empfehlen? Und wie könnte sie den Bundesrat von einem bestimmten Vorgehen überzeugen? Wie würde der Bundesrat reagieren, wenn sie Folgendes empfehlen würde? “Wenn Sie jetzt bis Ende Jahr sehr wenig machen und dann für fünf Monate alle Restaurants schliessen, so steigt die Zahl der Todesfälle von aktuell etwa 1'500 auf über 10'000.”

Ich vermute (und hoffe), dass der Bundesrat vom Sommer 2020 so einen Vorschlag empört verworfen hätte. Was wären bessere Empfehlungen der Zeitreisenden? Vermutlich würde sie mindestens von Lockerungen im Sommer abraten, strengere Massnahmen empfehlen und beherzte Investitionen in Impfstoffe.

Leider haben wir in der Realität keine Einsicht in die Zukunft. Wir können aber vermuten, dass dies nicht unsere letzte Pandemie sein wird. Die nächste wird kommen. Vielleicht in zwanzig Jahren, in fünf Jahren oder diesen November mit einer Coronavirus-Variante, gegen die unsere bestehenden Impfungen beschränkte Wirksamkeit zeigen.

Jetzt ist die Zeit, uns zu überlegen, wie wir auf eine zukünftige Pandemie reagieren würden. Wir dürfen jetzt nicht jubeln und vergessen, so verlockend es auch scheint. Sondern wir müssen lernen und uns vorbereiten. Während das Verständnis noch da ist und Erinnerungen frisch sind. Weshalb würden wir (erneut) warten?

Was wäre in jedem Fall sinnvoll?

SARS-CoV-2 ist eine Anfängerpandemie zum Üben. Das Virus ist zwar deutlich tödlicher als eine Grippe und hinterlässt auch bei vielen Überlebenden noch monatelang Spuren, doch in Anbetracht anderer Viren ist es vergleichsweise eher harmlos. Das neue Coronavirus hat eine Basisreproduktionszahl R0 von 2–3 und tötet weniger als 1% der Infizierten. Was würde eine Epidemie mit einem R0 von 10 oder 20 und einer Sterberate von 20% oder 40% bedeuten?

Eine nächste Pandemie werden wir früher oder später erleben. Damit die Schweiz sie erfolgreich meistern kann, müssen wir die Schwächen angehen, die uns diesmal die Reaktionen erschwert haben. Das würde uns auch in diversen anderen Bereichen helfen, beispielsweise mit dem Klimawandel. All diese Herausforderungen kann die Schweiz nicht auf eigene Faust meistern. Wir müssen international zusammenarbeiten.

Spezifisch in Bezug auf eine nächste Pandemie würde es sich lohnen, dass wir uns mit folgenden Fragen beschäftigen.

Digitalisierung
Die Schweiz hinkt hinterher bei der Digitalisierung. Fortschritte in diesem Bereich lohnen sich auch ohne Pandemie, in Notlagen werden die Defizite nur noch deutlicher sichtbar.

Das Debakel um meineimpfungen.ch zeigt das Versagen der Schweiz exemplarisch auf. Ein elektronischer Impfausweis ist ein Anfängerprojekt der Digitalisierung. Die Datenstrukturen sind vergleichsweise äusserst simpel, Datenmengen klein, Änderungen selten, Akteure und ihre Beziehungen klar definiert. Man muss nur wenige grundlegende Dinge richtig machen, um einen funktionierenden digitalen Impfausweis anbieten zu können. Die Schweiz scheint das Vorhaben nun vollständig aufgegeben zu haben, wir sind bereits an dieser Aufgabe gescheitert.

Auch an anderen Stellen zeigten sich Rückstände von mehreren Jahrzehnten. So verliess sich die Kontaktverfolgung in einigen Kantonen auf handgeschriebene Zettelchen, die rumgefaxt wurden, und auf Telefonanrufe. Genau so hätten wir Kontaktverfolgung auch vor dreissig Jahren machen können. Der seither erfolgte technologische Fortschritt wurde nicht genutzt. Praktisch jeder trägt heute ein hochvernetztes Wundergerät mit sich rum, das viel mehr kann als nur telefonieren. Hätten wir verfügbare Technologien voll ausgeschöpft, wäre die Kontaktverfolgung signifikant schneller und erfolgreicher gewesen.

Wo sollten wir also investieren, um Digitalisierung voranzutreiben? Das ist eine der Fragen, mit der sich der Bundesrat heute beschäftigen sollte. Die Verfügbarkeit digitaler Daten und Prozesse wird uns schneller und flexibler machen, ob mit oder ohne Pandemie.

Erkennung von Erregern
Je früher wir einen Erreger erkennen (egal, ob es sich um einen bekannten oder einen neuartigen handelt), desto schneller können wir reagieren und desto einfacher ist es, eine grossflächige Verbreitung zu verhindern.

Wie stellen wir also fest, dass ein Erreger sich in der Schweiz breitmacht? Suchanfragen im Internet könnten frühzeitig Hinweise liefern. So zeigte sich bereits letztes Jahr, dass in Gebieten mit einem Anstieg von COVID-Fällen auch Suchanfragen wie “Ich kann nicht riechen” proportional zunahmen. Wenn wir ein Auge haben auf die Häufigkeit von Suchanfragen mit Krankheitssymptomen, so liessen sich Trends schnell erkennen. Das würde alles mit aggregierten und anonymisierten Daten geschehen, die Google bereits kostenlos zur Verfügung stellt.

Die Häufigkeit von Coronavirus-Genmaterial im Abwasser können wir schon messen. Könnten wir dieses Monitoring ausweiten auf weitere Erreger? Und vielleicht zusätzliche Quellen miteinbeziehen? Könnten wir beispielsweise regelmässig Proben aus öffentlichen Verkehrsmitteln analysieren?

Wie würden wir es merken, wenn vermehrt Patienten mit bestimmten Symptomen bei Ärzten erscheinen? Werden diese Fälle irgendwo gemeldet? Sieht sich jemand diese Daten an? Würden wir unerwartete Entwicklungen erkennen, um genauer nachforschen zu können und Massnahmen zu ergreifen? Könnten wir aufgespürte Erreger schnell genetisch sequenzieren, um genau zu wissen, mit wem wir’s zu tun haben?

Wie könnten wir Daten aus verschiedenen Quellen kombinieren und analysieren, um ein Frühwarnsystem aufzubauen? Wie würden wir auf Warnungen dieses Systems reagieren? Damit so ein System erfolgversprechend ist, müsste es recht sensitiv sein und würde damit auch etliche Fehlalarme auslösen. Doch das ist in Ordnung, solange wir einen effizienten Prozess haben, der Warnungen untersucht und Fehlalarme als solche erkennt.

Der Bundesrat sollte sich heute überlegen, wie wir ein solches System aufbauen können. Und es mit Systemen anderer Länder vernetzen.

Pläne in der Schublade
Wenn das Frühwarnsystem Alarm schlägt und es ernst gilt, so müssen wir Pläne bereit haben, die schnelle Reaktionen ermöglichen. Es darf in diesem Moment keine Diskussionen geben, keine wochenlangen Vernehmlassungen mit den Kantonen. Nein, diese Arbeit muss schon vorher gemacht worden sein. Wenn der Ernstfall da ist, wird nur noch ausgeführt. “Speed trumps perfection”, wie Michael Ryan von der WHO erklärt.

Diese Planung muss weit über den Gesundheitsbereich hinausgehen. Bei einem deutlich gefährlicheren Erreger würde nicht nur unser Gesundheitssystem zusammenklappen, sondern auch andere Versorgung. Wer würde noch zur Arbeit erscheinen, wenn jeder Fünfte stirbt? Jeder Betrieb sollte gut vorbereitet sein.

Auch für die Schulen brauchen wir detaillierte Pläne. Jede Schule sollte schnell und problemlos auf Distanzunterricht wechseln können. Gute Lüftung und Messung der Luftqualität wäre in jedem Fall sinnvoll. Im Herbst möchte ich nicht erneut hören, das ginge jetzt alles nicht von heute auf morgen.

Ende Januar 2020 hätte allen Ländern klar sein sollen, welche Bedrohung bestand. Trotzdem handelten nur wenige konsequent. Die meisten liessen sich Zeit. Sie wollten erst mal abwarten, vielleicht würde es ja gar nicht so schlimm. Das Independent Panel for Pandemic Preparedness and Response der WHO bezeichnet Februar 2020 als einen “verlorenen Monat”.

Schon damals setzte Bundesrat Berset auf genaues Beobachten. “Wir sind sehr gut vorbereitet.”, erklärte er und bot dem Generaldirektor der WHO die Hilfe der Schweiz an. Das Coronavirus sah man als ein Problem der anderen, welches die Schweiz selbst nicht betreffen würde.

Dieser Ansatz war verheerend. Das nächste Mal müssen wir handeln, bevor die Spitäler sich füllen. Wir müssen klare Triggerpunkte festlegen und die dann konsequent einhalten. Es wird immer die Hoffnung geben, dass es gar nicht so schlimm werden wird. Doch davon dürfen wir uns nicht verlocken lassen. Wird es nämlich schlimm, so steigen die Kosten des Wartens mit jedem Tag rapide an.

Wer arbeitet an diesen Plänen? Der Bundesrat sollte die heute in Auftrag geben. Nicht morgen.

Versorgung sicherstellen
Vielen Ländern fehlte es im Frühling 2020 an einfachen Materialien. Nur schon Bereitstellung von Masken stellte eine Herausforderung dar. Es gab Wucherpreise und Betrug. Ein paar zwielichtige Gestalten wurden reich. In den USA boten einzelne Bundesstaaten im Auktionsverfahren gegeneinander und Lieferungen mussten von Polizei und Nationalgarde beschützt werden. Weil in der Schweiz zu wenige Masken zur Verfügung standen, wurde gar behauptet, sie seien wirkungslos gegen das Coronavirus. Noch heute rät das BAG ab von der Nutzung hochwirksamer FFP2- und FFP3-Masken und empfiehlt stattdessen chirurgische Masken und Textilmasken.

Auch anderes medizinisches Schutzmaterial war knapp. Wir erinnern uns an internationale Bilder von Pflegepersonal, welches improvisierte Schutzkleidung aus Abfallsäcken trug. Die Verfügbarkeit von Sauerstoff stellte in einigen Ländern ebenfalls ein Problem dar.

Das nächste Mal müssen wir bereit sein mit ausreichenden Vorräten von Material, welches höchstwahrscheinlich benötigt werden wird in einer zukünftigen Pandemie. Wer kümmert sich darum? Ist das ein Thema für den Bundesrat?

Kommunikation aus einer Hand
Die Kommunikation während der Pandemie war oft chaotisch und inkonsistent. Bundesrat, BAG und Kantone widersprachen sich, teilweise gar in derselben Pressekonferenz.

Für die nächste Epidemie brauchen wir einen zentralen Krisenstab, der alles koordiniert und Informationen aus einer Hand liefert. Wir können bereits heute festlegen, wie dieses Gremium zusammengesetzt wird, welche Kompetenzen es hat, mit wem es sich wie abspricht, usw.

Ein solcher Krisenstab könnte auch unabhängiger sein vom politischen Geplänkel. Er könnte damit offener und ehrlicher kommunizieren, von wissenschaftlichen Erkenntnissen geleitet sein, Unsicherheiten ansprechen, Szenarien aufzeigen, dazulernen. Damit läge der Fokus auf der Bewältigung der Krise anstatt Schuldzuweisungen und dem Kampf um Wählerstimmen.

Der Bundesrat kann schon heute die Struktur und Aufgaben eines solchen Krisenstabes diskutieren.

Zonen von Anfang weg
In der nächsten Pandemie müssen wir von Anfang weg in geographischen Zonen denken, innerhalb der Schweiz und über die Landesgrenzen hinweg. Und wir werden Reisebeschränkungen sowie Test- und Quarantänevorschriften zwischen Zonen benötigen.

Das Ziel eines solchen Zonen-Ansatzes ist es nicht, die Bevölkerung mit zusätzlichen Einschränkungen zu belasten. Nein, es geht darum, weite Teile des Landes von Eingriffen zu verschonen und Massnahmen nur dort anzuwenden, wo sie nötig und effektiv sind. Können sich Menschen jedoch frei zwischen Zonen bewegen, so versagt dieses Modell und bald sind alle überall von den härtesten Massnahmen betroffen.

Restaurants in einem stark von der Pandemie betroffenen Kanton zu schliessen, aber den Einwohnern zu erlauben, weiterhin geöffnete Restaurants im Nachbarkanton zu besuchen, hat bloss zur Folge, dass diese Restaurants auch bald werden schliessen müssen.

Damit ein Zonen-Modell voll zur Geltung kommen kann, müssen wir zügig reagieren, sobald sich Fälle in einer Zone häufen. Wir brauchen schnelle und zuverlässige Kontaktverfolgung. Und wir müssen die wenigen Betroffenen grosszügig unterstützen. Auch um Anreize zu schaffen, damit sie sich an Isolations- und Quarantänevorgaben halten können, ohne persönliche Einbussen befürchten zu müssen. Das Richtige zu tun für die Gesamtgesellschaft sollte einfach und einträglich sein. Diese gezielten, lokalen Massnahmen sind auch viel billiger als Lockdowns fürs ganze Land.

Einige Länder insbesondere in Asien haben staatliche Isolationseinrichtungen unterhalten. Das waren beispielsweise umfunktionierte Hotels. Die eigenen vier Wände verlassen zu müssen, hört sich nach einem drastischen Eingriff an. Doch kann man damit auch seine Familienmitglieder schützen und die Isolations- und Quarantäneperioden zeitlich verkürzen. Isolationseinrichtungen sollte wir fürs nächste Mal ernsthaft in Betracht ziehen.

Auch hierfür könnte der Bundesrat bereits heute Pläne anstossen.

Es wäre sinnvoll, wenn der Bundesrat eine Expertengruppe beauftragen würde, Lehren zu ziehen aus der aktuellen Pandemie und Empfehlungen zu entwickeln für die nächste. Diese Analyse müsste schonungslos sein und keine Rücksicht nehmen auf politische Befindlichkeiten. Wir müssen aus Fehlern lernen, damit wir sie nicht wiederholen. Ist die Eidgenössische Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP) für eine derartige Aufgabe geeignet? Könnte sich die wissenschaftliche Taskforce diesem Thema annehmen? Oder wäre ein neues Gremium gefragt?

Die Vorschläge oben sind nicht abschliessend. Investitionen in weiteren Bereichen wären ebenfalls sinnvoll. So zum Beispiel in die Entwicklung von Impfstoffen, die gegen ganze Klassen von Viren wirksam sind. Oder in neue Behandlungsmethoden (oder die Wiederentdeckung alter für neue Zwecke). Bei diesen Themen profitieren wir von internationalen Erkenntnissen und es ist weniger problematisch, wenn die Schweiz nicht ganz vorne mit dabei ist. Die Vorbereitungen oben können uns andere Länder nicht abnehmen.

Ich höre schon die gewohnten Einwände: “Was das alles wieder kosten wird! Wer soll das nur alles bezahlen?” — Hier zeigt sich wiederum unsere kurzsichtige Rappenspalter-Ideologie. Sogar ein sehr grosszügiges Budget für diese Vorbereitungen würde nur einem klitzekleinen Bruchteil der Kosten der aktuellen Pandemie entsprechen. Die Investitionen würden sich vermutlich auch rechnen, wenn eine nächste Pandemie auch ohne sie ausbleiben würde.

Wir dürfen Folgendes nicht vergessen: Die Schweiz war auch in dieser Pandemie privilegiert im Vergleich zu grossen Teilen der Welt. Wir können uns auf ein qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem verlassen. Wir hatten frühen Zugang zu Impfstoffen. Betroffene Branchen konnten entschädigt werden. Und viele von uns konnten die Epidemie ohne bedeutende persönliche Einbussen überstehen. Für die, denen es sonst schon sehr gut geht, blieb die Pandemie ohne einschneidende Folgen. Man sitzt eben ein paar Monate im Home Office und schränkt Kontakte ein, was zwar mühsam ist, aber man verdient immer noch gleich viel und hat keine schlaflosen Nächte.

Unter der Pandemie litten insbesondere die, denen es auch ohne Pandemie schon schlechter ging. Weil sie beispielsweise finanziell bereits unter Druck waren. Oder weil sie auf medizinische Behandlungen angewiesen waren, die verschoben oder ausgesetzt werden mussten. Menschen mit schlechter bezahlten Jobs waren tendenziell stärker betroffen von Massnahmen. Oft riskierten sie ihre eigene Gesundheit, um Besserverdienende zu versorgen. Das Virus hat damit Ungleichheiten noch verstärkt. Das gilt sowohl innerhalb einzelner Länder als auch zwischen Ländern.

Die Schweiz hat mit ihrer privilegierten Stellung damit auch eine Verpflichtung anderen Ländern gegenüber. Nicht nur sollten wir ihnen helfen, die Pandemie zu bewältigen (beispielsweise mit Finanzierung von Impfstoffen), sondern die Schweiz kann auch helfen, die Welt besser vorzubereiten für die nächste Pandemie, während andere Länder noch alle Hände voll zu tun haben mit der aktuellen.

Eigeninteresse sollte schon Motivation genug sein, diese Investitionen zu tätigen. Die Vorteile für andere kommen als Bonus noch oben drauf.

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Opa Köbi

Ich mach mir halt so meine Gedanken. Aktuell zu COVID-19 und den Reaktionen insbesondere in der Schweiz. https://twitter.com/OpaKoebi