Die Restaurants leiden unter zu lockeren Massnahmen

Opa Köbi
6 min readFeb 25, 2021

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Wie lange werden Restaurants noch geschlossen bleiben müssen? (Boris Roessler / dpa)

Ja, Sie haben richtig gelesen. Die Restaurants leiden unter zu lockeren Massnahmen. Alle anderen auch.

Wegen der Halbherzigkeit unserer Massnahmen gelingt es uns nicht, Fallzahlen drastisch zu senken. Aktuell sieht es sogar danach aus, als wären wir an einem Wendepunkt angelangt und Fallzahlen stagnieren oder steigen gar wieder an — so wie es die Szenarien der Taskforce auch erwartet hatten.

Für die Restaurants bedeutet dies, dass sie noch länger werden geschlossen bleiben müssen. Sie werden damit zusammen mit wenigen Leidensgenossen gezwungen, die Hauptlast der Viruseindämmung zu tragen. Würden andere auch mithelfen, so kämen wir alle schneller wieder aus dem Shutdown raus. Und könnten schrittweise zu einem fast vollständig normalen Leben zurückkehren.

Der Versuch, möglichst viel gar nicht erst zu schliessen oder möglichst bald wieder zu öffnen, führt dazu, dass länger noch mehr geschlossen bleiben muss. Hätten wir einen richtigen Lockdown gemacht, so hätte der nach wenigen Wochen wieder vorbei sein können. Je mehr Massnahmen wir während so eines Lockdowns gleichzeitig ergreifen, desto schneller sinken die Fallzahlen und desto rascher kann der Lockdown wieder beendet werden.

Wie lange müsste ein richtiger Lockdown dauern?

Wir hatten es kürzlich auf etwa 1'000 Fälle pro Tag runter geschafft. Wie ginge es weiter mit verschiedenen effektiven R-Werten?

Entwicklung der Fallzahlen abhängig vom effektiven R-Wert, wenn wir mit 1'000 täglichen Fällen starten.

Die Kurven zeigen eindrücklich, dass ein R-Wert von 0.9 und einer von 0.7 zu massiven Unterschieden führen. Die Reduktion der Fallzahlen erfolgt deutlich schneller bei tieferen R-Werten. Dafür braucht es mehr und härtere Massnahmen. Die wir dann auch schneller wieder lockern können.

Hier ist noch zu beachten, dass die Erreichung eines konstanten effektiven R-Wertes über die nächsten Wochen laufend strenger werdende Massnahmen erfordern würde. Dies wegen des steigenden Anteils der neuen Virusvarianten, die deutlich ansteckender sind und daher weitergehender Massnahmen bedürfen zur Erreichung desselben R-Wertes. Haben die neuen Varianten das Feld fast vollständig übernommen, so verschwindet dieser Effekt und gleich bleibende Massnahmen (die gleich eingehalten werden) würden zu einem konstanten R-Wert führen.

Wenn wir uns ein Ziel von schweizweit 100 Fällen pro Tag setzen (was in etwa einer Inzidenz von 10 pro 100'000 über 7 Tage entspricht, dem vorgeschlagenen Grenzwert für erste Lockerungen in der NoCovid-Strategie), so müssten wir abhängig vom erreichten R-Wert die entsprechenden Massnahmen für folgende Zeitperioden beibehalten:

Notwendige Dauer der Massnahmen abhängig vom effektiven R-Wert, um tägliche Fälle von 1'000 auf 100 zu reduzieren.

Mit einem R-Wert von 0.95 müssten Massnahmen 224 Tage anhalten, das sind über 7 Monate! Gelingt uns eine Senkung des R-Werts auf 0.9, so sind es nur noch 109 Tage. Mit R=0.8 dauert’s 51 Tage. Mit R=0.7 noch 32 Tage.

Reissen wir uns also zusammen und halten strengere Massnahmen einen Monat durch, so können wir unser Ziel erreichen. Versuchen wir stattdessen, möglichst viel offen zu halten, so wird es etliche Monate dauern.

Was, wenn Fallzahlen nun wieder hochgehen?

Wenn Fallzahlen nun wie befürchtet wieder ansteigen, wird’s noch schwieriger. Je mehr wir zuwarten mit der Einführung neuer Massnahmen, desto länger werden die eines Tages beschlossenen Einschränkungen anhalten müssen.

Notwendige Dauer von neu eingeführten Massnahmen abhängig vom Startpunkt der täglichen Fallzahlen und dem erreichten effektiven R-Wert.

Lassen wir Fälle beispielsweise wieder auf 4'000 pro Tag ansteigen und führen erst dann neue Massnahmen ein, die den R-Wert auf 0.9 senken, so würde es 175 Tage dauern, um Fälle auf 100 pro Tag zu senken, fast ein halbes Jahr. Die ersten zwei Monate davon wären nur schon nötig, um wieder zurückzukommen auf das Niveau der 1'000 täglichen Fälle, welches wir bereits erreicht hatten.

Steigen Fälle gar auf 10'000 pro Tag an, so müssten dieselben neuen Massnahmen ab dann 218 Tage dauern, über 7 Monate. Die ersten dreieinhalb Monate wären nötig, nur um zurückzukommen zu den 1'000 täglichen Fällen. Gelingt uns eine Senkung des R-Wertes auf 0.8 nach Erreichung der 10'000 Fälle pro Tag, so müssten entsprechende Massnahmen 103 Tage beibehalten werden.

In allen Szenarien zeigt sich, dass ein tiefer effektiver R-Wert dank strengerer Massnahmen zu einer deutlich kürzeren Lockdown-Periode führt. Und je früher wir diese Massnahmen ergreifen, desto weniger lang müssen wir sie erdulden. Diese Kurven bleiben auch mit voranschreitenden Impfungen gültig. Ein grösserer Anteil Geimpfter in der Bevölkerung wird jedoch dazu beitragen, den effektiven R-Wert zu senken.

Schnell zu reagieren, ist also wiederum entscheidend. Insbesondere, wenn uns nun eine dritte Welle bevorsteht, welche die zweite noch übertreffen könnte. Natürlich besteht eine gewisse Unsicherheit, ob diese Welle nun tatsächlich kommen wird. Aber weshalb würden wir es darauf ankommen lassen? Möchten wir nicht in jedem Fall möglichst bald Massnahmen mit gutem Gewissen lockern können? Und dem Leiden der Restaurants und Kulturbetriebe ein Ende setzen? Endlich wieder unbesorgt Freunde treffen können?

Dummerweise ist nun niemand in der Stimmung für härtere Massnahmen. Uns reicht’s jetzt langsam aber sicher. Alain Berset sagte sogar, die Bundesräte “können nicht mehr”.

Ich hatte befürchtet, dass wir diesen Punkt erreichen würden. Am 29. Januar hatte ich geschrieben:

“Und so könnten wir uns in wenigen Wochen in einer Situation wiederfinden, in der die Bereitschaft der Bevölkerung zu weiteren Entbehrungen einen Tiefstand erreicht. Gleichzeitig wird die konsequente Einhaltung von strengeren Massnahmen denn je gefordert sein, um Auswirkungen katastrophalen Ausmasses abzuwenden.”

Niemand hat Lust auf mehr Lockdown. Aber je länger wir zuwarten, desto schlimmer wird der Lockdown werden müssen und desto mehr Opfer werden gefordert werden. Dazu gehören nicht nur unsere Mitbürger, die an gesundheitlichen Folgen leiden werden, sondern auch all die betroffenen Betriebe und ihre Mitarbeiter. Zudem nimmt auch die Gesellschaft als Ganzes zunehmend Schaden. Frustration und Gewaltbereitschaft nehmen zu.

Daran schuld sind nicht die Massnahmen. Die Halbherzigkeit der Massnahmen trägt die Verantwortung. Hätten wir strenge Massnahmen für wenige Wochen konsequent umgesetzt — idealerweise schon im Oktober — so wären wir unterdessen in einer viel besseren Situation. Noch besser wäre es gewesen, hätten wir das Coronavirus schon im Sommer letzten Jahres ernst genommen und es mit vergleichsweise milden Massnahmen in Schach gehalten.

Was ist nun zu tun?

Wir dürfen nun Massnahmen nicht lockern und damit bereits erzielte Erfolge wieder verspielen. Stattdessen müssen wir Massnahmen möglichst schnell verschärfen.

Dazu müssten wir strikt überall dort Home Office vorschreiben, wo es möglich ist, und dies auch durchsetzen. Stattdessen gehen viele weiterhin ins Grossraumbüro, um dort so an einem Bildschirm zu sitzen, wie sie das auch zuhause machen könnten.

Und in den Schulen herrscht weiterhin Normalbetrieb, nur mit etwas mehr Händewaschen. Dabei zeigen die Zahlen klar, dass es zu etlichen Ausbrüchen an Schulen kommt. Wenn Dutzende Kinder im selben Schulhaus betroffen sind, haben die vermutlich das Virus nicht alle zufällig gleichzeitig unabhängig voneinander irgendwo aufgeschnappt. Nein, die Kinder stecken sich gegenseitig an. Dass das geschieht, ist unterdessen völlig offensichtlich. Wir sehen das in diversen Ländern. Auch wenn Politiker und Behörden weiterhin das Mantra “Kinder sind keine Treiber der Pandemie.” wiederholen. Doch genau das sind sie jetzt, einer der Treiber der Pandemie. Wo kommen denn sonst noch Dutzende Menschen aus verschiedensten Haushalten für Stunden in Innenräumen zusammen?

Wollen wir B.1.1.7 unter Kontrolle bringen, so müssen wir für einige Wochen auf Fernunterricht umstellen. Grossbritannien, Irland und Portugal konnten mit dieser und anderen Massnahmen Fallzahlen sehr schnell senken. Wenn Regierungsräte nun behaupten, Fernunterricht könne nicht “von heute auf morgen” eingeführt werden, scheinen sie zu vergessen, dass sie zehn Monate Zeit hatten, sich vorzubereiten.

Aktivitäten im Freien halte ich für weniger problematisch. Das ist ein Bereich, in welchem meiner Ansicht nach Lockerungen ohne signifikante Erhöhung des Risikos möglich wären. Abstände und Masken sind immer noch wichtig und Gruppengrössen sollten weiterhin beschränkt werden, aber das Limit kann höher liegen als bei fünf. Die grössere Gefahr besteht typischerweise nicht bei der Hauptaktivität selbst, sondern drumherum. Das Jogging in der Gruppe ist weniger gefährlich als die ÖV-Reise zum Treffpunkt. Hier müssen wir wachsam bleiben.

Gelingt es uns, Fallzahlen deutlich zu senken, so können allgemeine Massnahmen grösstenteils gelockert werden. Doch dürfen wir dann nicht nachlässig werden. Beispielsweise sollten wir dann Testen und Kontaktverfolgung nicht runterfahren, weil es nicht mehr so viele Fälle gibt. Im Gegenteil, das Contact Tracing sollte intensiviert werden und jeden einzelnen Fall noch umfassender und akribischer untersuchen. Gibt es nur noch wenige Fälle, so sollte Kapazität dafür vorhanden sein. Das ist etwas mühsamer für die wenigen Betroffenen, aber hilft uns, neue Ausbrüche im Keim zu ersticken und damit die Freiheiten der Gesamtbevölkerung zu schützen.

Die Impfungen geben uns einen Hoffnungsschimmer. Doch sie werden die Situation so schnell nicht markant verbessern. Um weiteren Verzicht werden wir leider nicht rumkommen. Und einfach alles zu öffnen, wie dies einige Kreise fordern, hätte katastrophale Folgen, selbst wenn ein Grossteil der Senioren bereits geimpft wäre.

Wir müssen nun wirklich damit aufhören, ständig dieselben Fehler zu wiederholen.

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Opa Köbi
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Written by Opa Köbi

Ich mach mir halt so meine Gedanken. Aktuell zu COVID-19 und den Reaktionen insbesondere in der Schweiz. https://twitter.com/OpaKoebi

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